Niels, der Isabell-Steinschmätzer

Der 14. Oktober 2012 war ein normaler Sonntag, an dem meine Kollegin und ich (wie alle 2 Wochen) die Wasser- und Watvögel im Osten Spiekeroogs zählen mussten. Das Wetter spielte mit, und auch die Vögel ließen sich recht gut zählen.

Neben einem Merlin und meinen ersten Spiekerooger Nilgänsen gab es auf dem Rückweg nach Hause tatsächlich sogar noch einen Spornpieper. Ich sah ihn zwar nur sehr kurz wegfliegen, bevor er im hohen Gras verschwand, aber lang genug, um ihn recht sicher als solchen anzusprechen. Der Tag war jetzt schon ein recht erfolgreicher!

Während meine Kollegin dann nach Hause fuhr, beschloss ich, noch einmal im Hafen zu schauen, ob sich dort noch etwas zeigen würde. Schon bevor ich ankam fiel mir ein Steinschmätzer ins Auge, der dort am Fuße eines kleinen Deiches entlanghüpfte. Bereits seit 2 Wochen hatte ich keinen Steinschmätzer mehr auf der Insel gesehen, deshalb freute ich mich sehr. Doch irgendwie wirkte der Vogel „komisch“, er war so unglaublich hell. Doch natürlich hatte ich weder meine Knipse noch ein Bestimmungsbuch bei mir! Immerhin konnte ich mit meinem Smartphone ein wenig im Internet nachschauen und schnell fiel mir dabei der Isabell-Steinschmätzer auf, aber auch einige „normale“ Steinschmätzer sahen meinem Vogel recht ähnlich. Da ich wusste, dass man die meisten Steinschmätzer-Arten am besten durch ihre Schwanzzeichnung unterscheiden kann, achtete ich insbesondere darauf, doch allzu oft wollte mir der Vogel diese nicht zeigen. Zum Schluss konnte ich sehr kurz aber deutlich eine T-Zeichnung erkennen. Wie es beim Isabell-Steinschmätzer speziell auszusehen hätte wusste ich nicht und das Suchen im Internet per Smartphone war auch nicht sonderlich spaßig. Daher bestimmte ich den Vogel also erst einmal als normalen Steinschmätzer und setzte meinen Weg zum Hafenbecken fort, wo ich schnell durch einen großen Finkenschwarm abgelenkt wurde, in dem sich mein erster Insel-Feldsperling (auf Spiekeroog nur ein Durchzügler) versteckte.

Abends dann schaute ich natürlich in mein Bestimmungsbuch und bemerkte, wie ähnlich sich „normale“ und Isabell-Steinschmätzer sehen, auch bei der Schwanzzeichnung.

Am nächsten Tag ging ich nach der Zählung wieder in den Hafen. Da ich nicht wirklich glauben wollte, solch eine Seltenheit entdeckt zu haben, wollte ich eigentlich erst zum Finkenschwarm gehen. Diesmal hatte ich meine Kamera dabei, und in dem Schwarm hatten sich diverse wunderschöne Bergfinken im Prachtkleid aufgehalten. Ich entschied mich dann aber doch, zum Steinschmätzer zu gehen, dieses Mal hatte ich ja auch mein Bestimmungsbuch mit. Und tatsächlich, da war er, genau an derselben Stelle wie am Vortag: Glück gehabt! Kurz darauf hatte ich meine ersten Fotos vorliegen, und mein Verdacht erhärtete sich. Es schien alles zu passen, aber ich war immer noch recht skeptisch, dass ich solch eine Mega-Rarität entdeckt haben sollte. Darum rief ich erst Edgar Schonart, um seine Meinung einzuholen, bevor ich die Öffentlichkeit informierte. Nicht dass ich Massen von Twitchern (Leute, die zu einer gemeldeten Seltenheit fahren, um sie auf ihrer Liste von in Deutschland gesehenen Arten abhaken zu können) auf die Insel locke, damit sich diese doch nur einen hellen, aber ganz normalen nordeuropäischen Steinschmätzer anschauen. Edgar war nach kurzer Zeit vor Ort, und kaum hatte er den Vogel gesehen, bestätigte er meine Vermutung und knuffte mich zur Gratulation zu diesem Spiekerooger Erstnachweis. Trotzdem blieb ich (aus welchem Grund auch immer) skeptisch. Ich glaube fast, dass ich der Einzige so skeptische Birder in Deutschland blieb, was die Bestimmung anging. Ich konnte und kann einfach nicht glauben, was mir da über den Weg geflogen ist und dass ich den Vogel dann auch noch richtig bestimmt haben sollte.

Trotz meiner Skepsis schrieb ich dann doch noch eine Mail an den Club300er-Verteiler. Ich wollte nicht als jemand gelten, der solch einen Vogel verheimlicht hätte. Wenige Minuten später erhielt ich dann auch schon eine Mail von Martin Gottschling, einem der erfahrensten Ornithologen in Deutschland überhaupt, der meine Fotos haben wollte, um sich meinen Vogel mal anzuschauen. Am selben Abend wurde der Vogel dann gleich von vier erfahrenen Ornithologen als „lupenreiner Isabell“ bestätigt. Geil!

Immer noch war ich ungläubig, aber meine Bilder waren eindeutig, der Vogel blieb noch bis zum 20. Oktober, so dass ihn mehrere Beobachter ebenfalls bestätigen konnten. Abgesehen von den Unterschieden im Aussehen machte mich Frank Sudendey, einer der angereisten Beobachter (und ein Super-Fotograf) auch auf einen Unterschied im Verhalten des Vogels aufmerksam: Der Vogel wippte ähnlich einer Bachstelze ständig mit dem Schwanz und stelzte ihn manchmal sogar richtig in die Höhe.

Während der Anwesenheit des Vogels lernte ich diverse andere Vogel-Verrückte kennen, was mich sehr freute, und traf auch 2 Bekannte wieder, allerdings kamen deutlich weniger Beobachter als ich erwartet hätte (gerade einmal 8). Es war immerhin erst der 5. deutsche Nachweis!

1999 war der erste deutsche Isabell-Steinschmätzer bei Beringungsarbeiten auf Helgoland durch andere Federlängen, als bei „unserem“ einheimischen Steinschmätzer aufgefallen. Es folgten zwei weitere Nachweise von Helgoland (dem Mekka für Vogelbeobachter in Deutschland), einer von Rügen und einer aus Hannover. Alle tauchten Ende September bis Ende Oktober auf. Sicherlich werden ab und zu einige Isabells übersehen worden sein, denn sie sehen den Weibchen oder Jungvögeln unserer Steinschmätzer tatsächlich sehr ähnlich. Trotzdem kann man sagen, dass sich dieser Vogel mächtig verflogen hat! Eigentlich hätte er sich gerade auf dem Weg von seinen Brutgebieten irgendwo zwischen Ostgriechenland und der Mongolei in sein Überwinterungsgebiet irgendwo in Ostafrika befinden sollen. Doch bei diesem Vogel hatte der innere Kompass wohl einen Fehler, oder er wollte einfach mal neues Terrain kennenlernen. Und mit Spiekeroog war er bestimmt nicht unzufrieden, es ist doch wirklich eine sehr schöne Insel. Nur das Klima war wahrscheinlich nicht das Beste für ihn (dabei war es die meiste Zeit wirklich sehr schön und sonnig). Er hat sich nämlich anscheinend einen kleinen Schnupfen eingefangen, zumindest „nieste“ er ab und zu.

 

Ich besuchte „meinen“ Vogel täglich und beobachtete ihn oft stundenlang, wie er auf dem Deich oder dem Helikopter-Landeplatz nach Spinnen und anderem Getier pickte, mich ab und an interessiert musterte und abends zu seinem Schlafplatz auf dem Gelände der Müllentsorgungsanlage flog. Manchmal war er für kurze Zeit verschwunden, aber nie länger als 45 Minuten. Den Rest der Zeit war er absolut stationär, und nach kurzer Zeit dann war er schon fast zahm. Als ich mich zum Fotografieren auf eine Isomatte legte, kam er dann sogar ganz interessiert auf mich zugelaufen, setzte sich sogar auf mein Fahrrad und mein Fernglas. Viel hat nicht mehr gefehlt und er hätte sich auf meinen Kopf gesetzt. Zum Fotografieren musste ich sogar manchmal rauszoomen, um ihn komplett auf das Bild zu bekommen.

 

Am 21.10 dann ging ich zum ersten Mal nicht schon um 8 Uhr aus dem Haus um nach dem Vogel zu schauen, sondern ging erst am Nachmittag zur bekannten Stelle, doch da war Niels, wie ich ihn inzwischen nannte, weil er ja immerzu nie(l)ste, nicht mehr da. Wahrscheinlich hatte er mich vermisst und sich auf die Suche nach mir gemacht und war dabei vom Wind weggetragen worden L Oder aber er hatte einfach bemerkt, dass er auf seinem Zugweg irgendwo falsch abgebogen war und machte sich jetzt wieder auf den Rückweg, dorthin wo er eigentlich hingehörte, irgendwo in den Süden, nach Ägypten oder noch südlicher.

Mach’s gut Niels, viel Glück auf deiner Reise. Komm mich mal wieder besuchen… Es war sehr schön dich kennengelernt zu haben.

 

PS. Mal schauen, wann man mich aus diesem Traum wecken wird - irgendwie kann ich diese Beobachtung immer noch nicht so wirklich glauben. ;-)